Impuls vom 22. Dezember

Wo der Himmel die Erde berührt

Schier endlose To-do-Listen, der ständige Wechsel von einem Termin zum nächsten und das Gefühl, hundert Dinge gleichzeitig erledigen zu müssen – stets bemüht, es allen, mit denen man unterwegs ist (auch sich selbst!), recht zu machen. Phasen wie diese erleben wir alle, doch die Adventszeit – mit allem, was sie mit sich bringt – stellt mich jedes Jahr aufs Neue vor die Herausforderung, all meine Herzensprojekte und Pflichten unter einen Hut zu bringen. Im Strudel des Alltags, in dem die Tage monoton an mir vorbeiziehen, frage ich mich früher oder später: Wo ist Gott, wenn ich im täglichen Trott die Dankbarkeit für das privilegierte Leben, das ich führe, manchmal verliere? Wo finde ich Ihn, wenn die Wertschätzung für das Geschenk meines Lebens verblasst und ich mich in einer Welt wiederfinde, die von Hass, Lügen, Oberflächlichkeit und Gewalt geprägt zu sein scheint, und das Gute im Leben dadurch immer weiter in den Hintergrund gerät?

Mit diesen Fragen im Kopf blicke ich, manchmal zufällig, in den Himmel, nehme plötzlich seine Schönheit wahr, spüre, wie meine Augen sich öffnen, und staune. In mir breitet sich eine tiefe Verbundenheit und Geborgenheit aus – ich fühle mich aufgehoben, als winziger Teil eines grossen Ganzen. Eine leise Melancholie schleicht sich in mein Herz, mein Blick wandert sehnsuchtsvoll zum Horizont – dem Ort, wo der Himmel die Erde berührt – und ich erinnere mich, in welchen Situationen ich diese Ergriffenheit bereits erlebt habe.

Für mich geschieht das oft, wenn ich am Abend in ein frisch gewaschenes, warmes Bett schlüpfe. Wenn ich im Mondschein barfuss am Strand spaziere. Wenn es so still ist, dass man Schnee fallen hört. Wenn eine Berührung für Gänsehaut sorgt oder Musik meine Seele berührt. Wenn ich nach einem langen, anstrengenden Aufstieg das Ziel erreiche. Wenn mich ein geliebter Mensch umarmt. Wenn das Adrenalin in meinen Adern mir das Gefühl gibt, lebendig und frei zu sein. Wenn die Freude über ein Wiedersehen die Gesichter von Menschen an Flughäfen oder Bahnhöfen erhellt oder alte Wunden in einer Versöhnung heilen. Wenn etwas – zum Beispiel das Ende eines Films – bittersüss ist. Wenn Nächstenliebe und Ehrlichkeit Brücken zwischen Menschen bauen und sich Menschen für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen. Wenn ich das Wunder eines neu entstehenden Lebens erlebe oder es wage, einem Menschen zu vertrauen und mein Herz zu öffnen – ihm zeige, was er mir bedeutet – und das Leuchten in seinen Augen mir beweist, dass es sich lohnt, mutig zu sein.

Für einen Augenblick bleibt die Zeit stehen, und alles ist gut. Es ist ein Moment, der nicht geplant oder erzwungen werden kann – ein Moment, der uns ahnen lässt, dass es etwas Grösseres, etwas Unfassbares gibt, das alles übersteigt. Ein Moment, der gleichermassen nach Heimat, Trost, Erfüllung, Ergriffenheit, Sinnhaftigkeit, Freiheit, Frieden, Wärme, Glück, Liebe, Licht und Leben schmeckt. Ja, ein Moment, in dem der Himmel die Erde berührt. Und in diesen Momenten erahne ich die Antwort auf meine Fragen: Ach, Gott, da bist Du!

Inspiriert von den Gedanken von Ina Jäckel
– Pastorin in Leer, Ostfriesland –
im Andere Zeiten-Magazin 2/2024 (S. 6-7)

 ~ Jasmin