Impuls vom 24. Dezember
Weihnachten: Die Hoffnung, uns vom Schmerz der Welt berühren zu lassen!
Die Adventszeit ist eine Zeit der Erwartung. Mit der Niederkunft unseres Herrn geht sie zu Ende und erfüllt das angekündigte Versprechen: das erwartete Kind ist nun da! Vor über 2’000 Jahren, in einer kalten Nacht, kam Jesus unter uns Menschen zur Welt. In der Krippe eines Stalles erblickte er zum ersten Mal, dass Licht dieser Welt!
Kurz zuvor schloss ihm die damalige Welt die Türen. Für ihn und seine Familie gab es keinen Platz unter den Menschen, nur am Rande der Gesellschaft, in einem Tierstall. Der Legende nach standen ein Esel und ein Ochse bereit, um das Neugeborene mit ihrem Atem warm zu halten. Über 2’000 Jahre sind nun vergangen; 2’000 Jahre lang konnte sich die Botschaft Jesu in der Welt verbreiten und Wurzeln schlagen…
Welche Welt wird Jesus heute vorfinden? Eine, die ihn aufnehmen wird? Eine, die seinen irdischen Eltern keine Türen ins Gesicht zuschlägt? Eine, die sie nicht wieder in den Stall, an die äusseren Ränder der Gesellschaft, verweist?
Wie damals steht Jesus weiterhin nackt und schutzlos da, und die Welt scheint ihn nicht wirklich aufgenommen zu haben – weder als Kind noch als Bote der frohen Botschaft!
Es ist nicht mein Ziel, euch die Welt zu erklären oder zu sagen, warum sie so falsch und ungerecht ist. Hier geht es um etwas ganz anderes, vielleicht viel Tieferes. Denn die Botschaft des Evangeliums ist kein sozialpolitisches Programm, das uns zeigt, wie wir ein gerechteres System aufbauen können. Die gesamte Heilsgeschichte erhofft sich etwas Anderes von uns: Sie will nicht vordergründig die Welt verändern, sondern den Menschen im tiefsten Inneren seiner Seele umkehren!
Vielleicht lohnt es sich, einen Schritt zurückzugehen und sich die Frage zu stellen: Warum hat sich Gott Vater letztendlich entschieden, die Menschheit zu retten, indem er Jesus zu uns sendet?
Gott hat sich auch zuvor um die Menschen gekümmert – immer wieder! Was ist nun der Unterschied? Gott Vater lässt dieses Mal seinen Sohn selbst zu uns kommen, nicht als Gott, sondern als Mensch. Er will unser gleiches irdisches Schicksal mit uns teilen. Aber was hat Gott Vater schlussendlich dazu bewegt, seinen Sohn zu senden?
Vielleicht hat eine mögliche Antwort mit «Berührung» zu tun. Gott lässt sich zutiefst vom Schmerz der Menschheit berühren und beschliesst, seinen einzigen Sohn zu uns zu senden.
Warum stehen nun Jesus, Maria und Josef weiterhin schutzlos und alleine auf der Strasse dieser Welt?
Weil wir, im Gegensatz zu Gott Vater und seinem Sohn, uns nicht immer vom Schmerz des anderen berühren lassen wollen! Im Gegenteil, wir machen alles Mögliche, um den Schmerz der anderen von uns fernzuhalten. Denn der Schmerz der anderen wird auch unser Schmerz. Instinktiv wollen wir keinen Schmerz empfinden. Wer möchte das schon? Und falls uns selbst Schmerz zugefügt wird, was machen wir dann?
Vieles, aber oft das Falsche! Vielleicht versuchen wir, den Schmerz an die weiterzugeben, die ihn uns zugefügt haben. Oder wir geben den Schmerz an diejenigen weiter, die damit eigentlich nichts zu tun haben. Vielleicht denken wir, indem wir anderen den Schmerz weitergeben, könnten wir ihn von uns abwenden! Aber der Schmerz ist kein Ball, den man weitergeben kann. Der Schmerz ist ein Gefühl, das tief in unserer Seele verankert ist. Er ist ein Teil von uns, und wir können uns nicht von ihm befreien – nicht so!
Was können wir dagegen tun? Kann man den Schmerz heilen?
Es gibt viele Möglichkeiten, etwas gegen den Schmerz zu tun. Man kann sich beispielsweise vom eigenen Schmerz und vom Schmerz der anderen berühren lassen, so wie es Jesus uns vorgemacht hat. Er hat die Menschen von ihrem Schmerz geheilt, indem er sie berührt hat. Und wer berührt, nimmt den anderen bedingungslos an, so wie er ist – gut oder böse, arm oder reich, einheimisch oder fremd.
Es liegt nun an uns, darüber zu entscheiden, ob wir wie Jesus uns vom Schmerz der anderen berühren lassen und ihn in Nächstenliebe umwandeln, oder ob wir ihm Nahrung geben, indem wir ihn durch unseren Magen laufen lassen, um ihn wieder herauszuspucken!
Ob der Schmerz nun unser eigener ist oder der von anderen – spielt keine Rolle. Er ist im Grunde genommen nur ein Warnsignal an unserer Seele, das uns darauf aufmerksam machen will, dass wir tätig werden sollen und nicht beim Wahrnehmen oder Abwehren stehenbleiben dürfen.
Heute wie damals besteht das Risiko, dass wir in unseren vielfältigen Tätigkeiten und Zielen in der Hektik unseres selbst gebastelten Hamsterrades gefangen bleiben. In einer von Konsum und Geschäftssinn geprägten Gesellschaft wäre es gut, sich die Worte von Charles Dickens (Zitat aus «Eine Weihnachtsgeschichte») wieder ins Gedächtnis zu rufen:
«Die Menschheit war mein Geschäft. Das Gemeinwohl war mein Geschäft; Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Geduld, Wohlwollen waren alle mein Geschäft. Die Geschäfte meines Handels waren nur ein Tropfen Wasser im umfassenden Ozean meines Geschäfts!»
~ Valerio