4. Dezember

Was würdest Du ihm antworten?

Im heutigen Evangelium bitten zwei Blinde Jesus darum, ihnen die Augen zu öffnen. Was würden wir heute sehen, wenn Jesus uns von unserer Blindheit heilen würde?

Vielleicht die Eltern in der Nachbarschaft, die sich grämen, weil sie nicht das Geld aufbringen können, um ihren Kindern ein Weihnachtsgeschenk zu kaufen. Ach, ich vergass, dass in unserer Nachbarschaft ja gar keine Familien wohnen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Also doch eher die Familie, die im noch nicht gentrifizierten Vorort in der Einflugschneise des Zürcher Flughafens wohnt, den sie nicht nutzen kann.

Daneben: Menschen, die darüber grübeln, was sie an Black Friday kaufen könnten. Es ist keine einfache Frage. Im Grund besitzt man ja schon alles. Mit welchem Kauf also könnte man noch drei Franken sparen?

Oder: Walrosse, die von überfüllten Steinklippen in den Tod stürzen, auf die sie sich gerettet hatten, weil ihr Lebensraum, das Packeis vor der Küste Russlands, geschmolzen ist.

Daneben: Dramen in den Wohnzimmern, weil man wegen Covid nicht einmal in die Ferien fliegen kann.

Möglicherweise auch: Menschen, deren Rücken von Blutergüssen bedeckt sind, weil kroatische Militärs sie im Auftrag der von uns finanzierten Frontex mit Knüppeln auf aussereuropäischen Boden zurückgeprügelt haben. Es könnte ja passieren, dass ihnen Asyl gewährt werden muss, wenn sie es schaffen, einen Antrag auf Zuflucht zu stellen.

Daneben: Ich, wie ich beim Schein des Adventskranzes in meiner warmen Wohnung sitze, abwarte, dass die Welt sich endlich bessert, und Tee trinke.

Jesus fragt die beiden Blinden: «Glaubt ihr, dass ich euch helfen kann?» Für mich steckt in diesen Worten mehr als die Frage, ob wir Jesus zutrauen, uns die Augen zu öffnen. Ich stelle mir vor, Jesus fragt in diesem Moment zugleich: Glaubt ihr, dass ich euch helfen kann, das zu ertragen, was ihr sehen werdet, wenn ich euch von eurer Blindheit heile? Glaubt ihr, dass ich euch die Kraft geben kann, etwas dagegen zu tun?

Was würdest Du ihm antworten?

~ Miriam

Evangelium des Tages

Mt 9,27–31

Als Jesus weiterging, folgten ihm zwei Blinde und schrien: Hab Erbarmen mit uns, Sohn Davids! Nachdem er ins Haus gegangen war, kamen die Blinden zu ihm. Und Jesus sagte zu ihnen: Glaubt ihr, dass ich dies tun kann? Sie antworteten: Ja, Herr. Darauf berührte er ihre Augen und sagte: Wie ihr geglaubt habt, so soll euch geschehen. Da wurden ihre Augen geöffnet. Jesus aber wies sie streng an: Nehmt euch in Acht! Niemand darf es erfahren. Doch sie gingen weg und erzählten von ihm in der ganzen Gegend.

© Revidierte Einheitsübersetzung 2016